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Die Kraft der Wiederholung

KE:NT

Heimatstadt: Berlin/Detmold 

Web: instagram.com/hey_kent

soundcloud.com/sounds-kent

 

Interview am 30. März 2019, Herford

 

Du gibst ganz allgemein Techno als dein Genre an. Verfolgst du eine bestimmte Richtung?

Ich mag Techno mit Verstand. Musik, die etwas vermittelt, eine Message hat. Sie muss Gefühl beinhalten. Ich würde meine Musik als ein bisschen düster und melancholisch umschreiben. 

 

Auf Facebook gibst du als Einfluss Pink Floyd an. Haben dich deine Eltern musikalisch beeinflusst?

Mein Vater war absoluter Pink Floyd und David Bowie Fan. Ich wuchs mit dieser Musik auf und wurde von ihr sehr geprägt, wenn auch nicht in Bezug auf das, was ich auflege. Meine Musikproduktion im Studio und das öffentliche Auflegen sind für mich zwei verschiedene Paar Schuhe. 

 

Hast du dich in anderen Genres ausprobiert, bevor du ein Techno DJ geworden bist?

Als Kind bekam ich von meinen Eltern eine Stereoanlage geschenkt und spielte mit Freunden und alten Kassetten meines Vaters Disco. So fing meine Begeisterung für Musik an. Später wollte ich Rapper werden. Es haperte nicht an meinen Texten, aber ich mochte meine Stimme einfach nicht. Gegen 2009 begann ich, selbst Beats zu produzieren: HipHop Offbeats ohne Text. Heute nennt man das Trap. Ich schnitt aus Computer- und Hörspielen Stimmen heraus, die mir in den teilweise acht Minuten langen Tracks als Samples dienten. Leider stellte ich fest, dass niemand meine Musik gut fand. So habe ich mich dann weiter an anderen Sachen probiert und bin letztendlich beim Techno hängen geblieben. 

 

Wie bist du zum Auflegen gekommen?

Mit 16 kaufte ich einem Kumpel zwei Plattenspieler und einen ganz billigen Mixer ab. Ich hatte zwei Platten und legte diese ständig auf, bis meine Mutter die ewigen Wiederholungen nicht mehr aushielt und mir Geld für neue Platten gab. Members of Mayday und solche Scheiben folgten. Glücklicherweise gab es in Detmold einen Plattenladen. So rutschte ich zunehmend ins Elektronische. Mein Ziel ist es bis heute, Musik mit möglichst wenig Elementen kraftvoll rüberzubringen. An Techno fasziniert mich die Kraft der Wiederholung. Das immer Gleichbleibende, das dich mit der entsprechenden Offenheit für das Genre richtig mitziehen kann. 

 

Wo war dein erster Auftritt als DJ?

Als Jugendlicher hatte ich zwei separate, riesige Zimmer. Somit fanden Partys, die ich zum Auflegen nutzte, immer bei mir statt. Mit 17 fragte mich ein Kollege, warum ich nicht in Clubs auflege. Eine Partyagentur verschaffte mir meinen ersten Gig im Aura Ibbenbüren. Mein Auftritt dauerte genau zehn Minuten, bis mich der Haus-DJ von der Bühne holte. Zum ersten Mal mit Profi-Equipment zu arbeiten, war, als ob ich mein Leben lang Bobby-Car gefahren wäre und auf einmal eine Boeing 747 fliegen muss. Dadurch war ich so deprimiert, dass ich mit dem Auflegen aufhörte und wieder verstärkt in die Produktion einstieg.

 

Wie ging es dann weiter? 

2010 traf ich einen alten Schulkameraden wieder, der sich mit dem Auflegen gut auskannte. Da er immer eine Käppi trug und ich eine Glatze habe, nannten wir uns Muetze.Glatze. Unsere Produktionen gingen eher in Richtung Deep House. Wir releasten bei Oliver Schories’ SOSO und anderen kleineren Labels. Irgendwann lebten wir uns auseinander. So beschloss ich, was unter meinem eigenem Namen auszuprobieren. Mein erster Auftritt als KE:NT war im Sams Bielefeld. Danach entstand der Kontakt zu Absolute Techno, mit denen ich mich super verstand. Sie fanden meine Musik gut. Drei Monate später machte ich bereits das Warm-up für Torsten Kanzler im Borderline Basel. Von da an ging’s richtig los. Ich checkte selbst nicht richtig, was da alles abging. Ich hatte mega Spaß, aber eigentlich wollte ich mir mit eigenen Produktionen einen Namen machen. Dank meiner Präsenz bei Absolute Techno wurden mir zunehmend die Türen geöffnet. Innerhalb kürzester Zeit konnte ich in allen Clubs der Umgebung auflegen. Leute fanden’s krass, wie ich durchstartete. Mich selbst hat die Situation irgendwann überfordert. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, diesen Zustand halten oder sogar steigern zu müssen. Ich setzte mich selbst unter Druck und ließ meine Leidenschaft, das Produzieren, schleifen. 

 

Wie bist du zurück zum Produzieren gekommen?

Es brauchte seine Zeit, bis ich mich weniger unter Druck setzte und wieder ins Studio traute. Bei Nulectric hatte ich vor zwei Jahren einen Release. Mit dem Ergebnis war ich so unzufrieden, dass ich beschloss, erstmal meinen Sound zu finden. Ich bin absoluter Perfektionist, was mich selbst total aufregt. Viele fragen, wann ich endlich wieder etwas veröffentliche. Dann verweise ich auf den Spruch meiner Oma: „Gut Ding will Weile haben.“ In erster Linie muss ich mit der Scheibe zufrieden sein. Deswegen lasse ich mir jetzt sehr viel Zeit. Zudem bin ich mittlerweile Vater, dadurch hat sich einiges geändert. Vergangenes Jahr im August hatte ich gesundheitliche Probleme, wo ich zurückschrauben musste. Jetzt liegt der Fokus auf dem Produzieren, meinen Sound zu finden und das Auflegen läuft nebenher, weil ich Bock darauf habe. Ich bin der einzige Absolute Techno Resident aus Deutschland. Zu den Auftritten reise ich acht Stunden hin und acht Stunden wieder zurück. Sie sind mittlerweile wie eine Familie für mich. Ihnen bleibe ich wirklich treu. Wir machen auch regelmäßig Familienurlaube in der Schweiz. 

 

Im Vorfeld hattest du ein weiteres Projekt erwähnt. Kannst du dazu schon was verraten?

Als ich für Absolut Techno meets Abstract mit Torsten Kanzler auflegte, war das für mich nach Muetze.Glatze Neuland. Zunächst hatte ich wahnsinnige Probleme, mich musikalisch darin wiederzufinden. Ich dachte, dass ich als Techno DJ auf Biegen und Brechen die gleiche Musik produzieren muss, die ich im Club auflege. Das machte mich richtig fertig. Nach meiner krankheitsbedingten Pause stellte ich meine Ohren komplett auf Null und ging total unvoreingenommen zurück ins Studio, um Musik wieder nach Gefühl zu machen. Bereits früher war die Musik mein Ventil, um Alltagsprobleme zu verarbeiten. Nun stellte sich mir die Frage, wo ich releasen soll. Über Label veröffentlichen alle. Im Endeffekt geht es heutzutage nur noch darum, wo man erscheint und wer die Scheibe spielt. Ich finde, es wird gar kein Bezug mehr auf den Inhalt genommen. Viele Leute veröffentlichen eine Scheibe nach der anderen und liefern nichts Neues. Die Message dahinter kommt zu kurz. Das ist mein persönlicher Blick auf die aktuelle Entwicklung. Deswegen denke ich darüber nach, eine eigene Plattform zu gründen, um eine total entspannte Atmosphäre für Künstler zu schaffen und wo man sich gegenseitig ein bisschen unterstützen kann. Inzwischen ist das sehr schwierig geworden. Früher freute man sich, andere DJs und Produzenten zum Austausch zu treffen, und saß das ganze Wochenende gemeinsam im Studio. Heute ist das so ein Eigenbrötler-Ding. Jeder versucht, nur sich selbst nach oben zu bringen. Man ist DJ / Producer / Veranstalter / Influencer / Pokemon-Trainer / Hastenichtgesehen in einer Person. Wenn man zu viele Dinge auf einmal macht, kann da nichts draus werden. Mein Plan für die nächsten Jahre ist es, eine Plattform zu schaffen, die die Zusammenarbeit von Musikern, Filmemachern, Designern, Fotografen, Schriftstellern, Modedesignern etc. ermöglicht. Vom Studio aus könnte ich meine Musik weiter vorantreiben, aber auch Künstler entdecken, fördern und Starthilfe geben. Das einzige Problem ist das Finanzielle, da so ein Projekt sehr teuer und zeitaufwändig ist. Klar könnte ich jetzt mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, loslegen, doch wenn ich etwas starte, sollte es professionell und qualitativ hochwertig sein.

 

Ist dir ein Auftritt in besonderer Erinnerung geblieben?

Eigentlich alle. Die Steigerung war halt unfassbar. Nature One war eine interessante Erfahrung. Zwei Jahre vorher hätte ich nicht einmal erwartet, im Sams auflegen zu dürfen. Im Endeffekt würde ich auf dem Festival nicht erneut auftreten, weil es purer Kommerz ist. Da bin ich ganz ehrlich. Ein Highlight für mich war das Nordstern in Basel. Das ist das Nonplusultra der Clubs, professionell auf höchstem Niveau. Zudem war das Publikum wahnsinnig dankbar, und das finde ich halt immer schön. Teilweise spielt man vor 500 Leuten und hat das Gefühl, auf einer Trauerfeier aufzutreten. Auf der anderen Seite gibt es kleine Kaschemmen, die keiner kennt und wo nur 50 Leute reinpassen, und da geht die Party ab. Um den Stressfaktor zu verringern, nehme ich nicht mehr alle Anfragen an, auch meiner Familie zuliebe. Es geht mir nicht ums Geld. Die Leute sollen nicht nur zu mir kommen, weil ich ein Name in einem fetten Line-up bin, sondern weil ich für eine bestimmte Art von Musik stehe. Von der ersten bis zur letzten Sekunde sollen es die Leute geil finden, sich meine Mucke zu geben. Das ist mein Wunsch. Ganz oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Publikum erst nach meinen drei Stunden Warm-up für den Hauptact des Abends wie beispielsweise Sam Paganini kommt und auf mein Set scheißt. Du bist halt KE:NT ... KE:NT kennt keiner (lacht). Es geht mir nicht darum, immer in einem vollen Club aufzutreten. Ich freue mich schon, wenn jemand nach dem Auftritt zu mir kommt und mein Set feiert. Dann hat sich der Aufwand gelohnt. Ich versuche, immer 110 Prozent zu geben und mein Gefühl, das ich beim Auflegen empfinde, an das Publikum zu vermitteln. Für mich ist das nicht nur eine Aneinanderreihung von Tracks. Ich versuche, eine Story zu erzählen. Jede Scheibe im Set hat ihre Daseinsberechtigung. Wenn ich merke, dass ich mir zwei Stunden lang einen abgerackert habe und es die Leute nicht interessiert, finde ich das schade. DJ sein ist halt nicht Musiker sein. Mein Traum als Kind war es eigentlich, Musik für Filme zu machen. 

 

Welche Art Film könntest du dir vorstellen? 

Im Endeffekt wäre das Filmgenre egal. Ich würde Kurzfilme spannend finden, die ich mit Musik unterstreichen darf. Damit mein Geld zu verdienen, wäre ein Traum. Ein Buch zu schreiben, ist auch ein Ziel von mir. Vielleicht Kinderbücher oder ein Selbsthilfebuch: „Mein Leben ohne Haare“. Das ist mein Markenzeichen geworden. Man ruft mich nur KE:NT oder Glatze. Die kreative Ader kommt von meinem Vater. Er schrieb Bücher, zeichnete viel und war DJ in Berlin und auf Ibiza. In meiner Geburtsanzeige stand damals: „Diesem jungen Mann steht eine musikalische Zukunft bevor.“ Daher darf ich das Schicksal nicht enttäuschen. 

 

Wieso ist dir Musik so wichtig?

Musik brachte mich durch viele Etappen meines Lebens, wo ich das Gefühl hatte, dass es nicht mehr weitergeht. Es klingt total abgedroschen, aber so ist es nun einmal. Einige Sachen konnte ich nur mit Musik verarbeiten. Genau das möchte ich auch für jemanden auf der Welt ermöglichen: Eine Person, der es gerade richtig mies geht, hört meine Mucke und findet alles gar nicht mehr so schlimm. Und wenn es nur für die fünf Minuten meines Tracks sind, mit dem ich ihn aus seinem ganzen Alltagsscheiß raushole. Musik ist ein total emotionales Ding. Darum verfolge ich diese Techno-Geschichte in erster Linie instrumental. Wörter können eine gewisse Emotion auslösen, einen aber auch in eine bestimmte Richtung drängen. Bei Instrumental-Musik gibt es keine Grenzen. Jeder kann den Track anders interpretieren. Eigentlich kann ich noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob meine derzeitige Musik überhaupt Techno ist. Ich bin gespannt, wie meine nächsten Veröffentlichungen angenommen werden. 

 

Was denkst du über aktuelle Entwicklungen der Musikbranche?

David Bowie und Pink Floyd erschufen einzigartige Werke. Heutzutage ist Musik oft abgedroschen. Keiner traut sich mehr was Neues, was ich sehr schade finde. Stimming ist für mich ein geiler Typ, da man in jedem Track nach den ersten 30 Sekunden seine Handschrift erkennt. Sehr vielen Produzenten fehlt so etwas. Das ist wie ein Buch von Stephen King, den erkennt man auch nach den ersten Seiten. Inzwischen bin ich auf Hörbücher umgestiegen. Es ist ein cooler Weg, Informationen zu sammeln und Geschichten zu konsumieren. Außerdem verarbeite ich viele Elemente aus Hörbüchern in meinen Tracks. Ich laufe auch generell mit einem Aufnahmegerät herum. Beispielsweise klingt das Quietschen der eingeschweißten Plastikflaschen vom Discounter so schön. Das führte schon zu einer Track­idee. Wenn ich rumlaufe, höre ich nicht die Geräusche, wie sie sind, sondern überlege bereits, was ich daraus machen kann. 

 

Hast du einen Rat an Leute, die ins Producing einsteigen wollen?

Manche Leute richten sich zu Beginn für 5000 Euro ein Studio ein und posaunen gleich rum, sie werden Producer. Dabei wissen sie noch nicht mal, ob ihnen das Produzieren liegt. Ich kann jedem nur ans Herz legen, sich erstmal die billigsten Boxen zu besorgen, sich gratis ein Programm zum Produzieren aus dem Netz zu ziehen und zu prüfen, ob einem das Thema überhaupt anspricht, bevor man sich von Anfang an in Unkosten stürzt. 

 

Guckst du aktuell DJ-Serien oder Dokus?

Nein, da kriege ich die Krätze, wie das Thema teilweise in den Dreck gezogen wird. Berlin Calling finde ich ziemlich unterhaltsam.

 

Gibt es Musik, die du hörst, die dir eher peinlich ist? Helene Fischer beispielsweise.

Du hast doch Musik gesagt (lacht). Eigentlich nicht. Ich höre alles. Dank meiner Tochter habe ich oft Kinderlieder als Ohrwurm.

 

Könntest du dir vorstellen, Kindermusik zu machen?

Nein. Ich mag komplex aufgebaute Musik mit Details. Kindermusik ist eher Duplo.

 

Mag deine Tochter deine Musik?

Ja, voll. Ihre Lieblingslieder sind allerdings „Englishman in New York“ und „Happy“ von Pharrell Williams. Wenn ich ihr Videos von kahlköpfigen DJs zeige, reagiert sie darauf immer mit „Papa!“ Ich unterstütze ihr Interesse an Musik. Mein erstes Geschenk an sie war ein Schlagzeug. Ich möchte sie da natürlich in nichts reindrängen. Eine frühe musikalische Förderung hätte ich mir gewünscht. Schulisch war ich nicht zu gebrauchen. Nach der neunten Klasse ging ich von der Schule mit einem Abschlusszeugnis von 6,0. Nicht, weil ich dumm war, sondern weil meine Interessen woanders lagen. Ich hatte mehr als 300 unentschuldigte Fehltage. Wenn ich aber am Unterricht teilnahm, schrieb ich unvorbereitet gute Noten. Damals hätte ich mir mehr künstlerische Förderung gewünscht. Meine Tochter soll das machen, was sie glücklich macht. Ich versuche, sie jetzt schon in allen Lebenslagen zu unterstützen, möchte ihr allerdings den kreativen Weg besonders ans Herz legen. Wer weiß, vielleicht klappt’s ja bei meiner Tochter mit der Musikkarriere. Wenn sie lieber Kfz-Mechatronikerin werden möchte, ist das natürlich auch in Ordnung. Hätte mir damals jemand das Wissen vermittelt, das ich inzwischen habe, hätte ich einiges anders gemacht und würde nun wahrscheinlich ganz woanders stehen. Klar, man muss sich ausprobieren und fällt oft auf die Schnauze, das gehört dazu. Gerade an negativen Erfahrungen reift und wächst man ... „KE:NT, der Techno-Therapeut: In 30 Schritten zum Superstar!“ oder „In 15 Schritten zum David Guetta!“ Nichts gegen David Guetta ... 

 

Du bist der Erste, der das sagt.

Ich feiere seine Musik nicht, aber man muss ihm lassen, dass er von seiner Art der Musik überzeugt war und damit zum Superstar wurde. Außerdem ist er ja nicht dran schuld, dass seine Musik so erfolgreich wurde, sondern die ganzen Menschen, die sie so toll finden. Naja, Leben und leben lassen! Wenn meine Musik irgendwann im Radio läuft und alle Leute sie toll finden, wäre das doch schön. Solange ich mir selber treu bleibe, ist doch alles super.