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Opel Vectra statt Lambo

Shogoon

Heimatstadt: Minden/Berlin

Genre: Rap

Fotos: Bennett Stadler

 

Interview am 7. Juli 2019

 

Dank Curse hast du als Kind deine Liebe zum Rap entdeckt. Nun hat er dir für deine EP via Instagram Feedback gegeben. Was bedeutet dir das?

Ich kann es nicht auf ein paar Worte runterbrechen. Der 13-jährige Fabi würde mir jetzt auf jeden Fall auf die Schulter klopfen. Ich bin mir nicht sicher, ob er von Anfang an wusste, dass ich ebenfalls aus Minden komme. Das tut auch eigentlich nichts zur Sache, aber von jemandem, der einen so sehr geprägt hat, Feedback zu bekommen, war schon ein Punkt, der sehr weit oben auf meiner Bucket-List stand.

 

Deine EP erscheint am 2. August. Was erwartet die Hörer auf „Akt I: 32425“?

Es wird fünf Songs geben. Ich wollte weder zeitgeistige Musik noch hängen gebliebenen Boom- bap machen und ging all meine G-Funk-, (T)Rap- und Soulplatten durch, die ich cool fand, und pickte mir quasi alles raus, was mir am jeweiligen Subgenre gefiel. Ich hörte mir beispielsweise die Trettmann-Platte an, die ja schon relativ modern ist, und hab mir von ihr das Songwriting in den Hooks rausgepickt, weil ich das krass fand. Eine alte Curtis Mayfield Platte gehörte auch zu meiner Inspiration. Die EP ist der erste von drei Akten. Bei diesem Auftakt handelt es sich um eine Minden-Kleinstadt-Platte. Dank Fender Rhodes und Stratocaster Gitarren ist sie tatsächlich sehr westcoastig geworden. Ich dachte mir, dass das sehr geil passt, da Ostwestfalen im Westen von Deutschland liegt. Es ist eigentlich eine klassischere HipHop Platte, als man wahrscheinlich denkt. Sie hat sehr viele New Jack & West Coast Einflüsse, Dr. Dre mäßige Baselines, aber dann halt eine Balladen-Hook, die man vielleicht auf einer Trettmann-Platte finden könnte. Es ist sehr organisch, sehr soulig, aber an den richtigen Stellen auch sehr modern und beinhaltet zum Großteil sehr moderne Tempi ohne Trap-Anleihen. Hört einfach rein.

 

Wie viele Tracks hast du für die EP geschrieben und wie viele haben es letzten Endes auf die Platte geschafft?

Als ich an der EP arbeitete, habe ich Skizzen verworfen, aber die fertig geschriebenen Tracks sind bis auf eine Ausnahme alle auf der EP gelandet. Ungelogen baute ich mehr als 80 Beats, die in Frage kamen. Bei einem Song beginne ich mit dem Beat. Und wenn ich den krass finde, möchte ich einen richtig guten Refrain machen. Der Refrain soll im Endeffekt schon alles anreißen, was im Song passiert. Dann muss man sich in den Strophen nur noch in das gemachte Nest reinsetzen. Somit weiß ich zu diesem Zeitpunkt bereits, dass der Song fertig wird und auf der Platte landet. Vorher fange ich gar nicht an, eine Strophe zu schreiben. Nur einen Song fand ich im Nachhinein kacke, deshalb musste ich ihn wegschmeißen. Den Titelsong machte ich daraufhin neu, damals hieß er auch noch ganz anders. Allein durch diesen sechsten Song, der den fünften ersetzte, heißt die Platte nun „32425“.

Hast du einen Lieblingstrack deiner EP? 

Da ich alles selbst produziere, hörte ich jeden Song gefühlt 80 Mal. Irgendwann kann man sie dann, ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Die beiden Teaser „Cremeweiß“ und „6 km/h“, die sich nicht auf der Platte befinden, höre ich momentan lieber, da sie aktueller sind. Meine Favoriten der EP sind am ehesten das Outro namens „Kippenpause“ und der Titelsong. „Kippenpause“ spielt auf einer Party, wo ich rauchen ging. Ich stand alleine auf dem Balkon und beschloss, in die weite Welt rauszuziehen, um es mit der Musik zu versuchen, also Heimatflucht zu begehen und nach Berlin zu ziehen. Alle Geschichten der EP sind wahr, aber diese ist komplett autobiografisch. Im Outro sind beispielsweise original Sprachnachrichten von meinen Freunden, die mich von der Party aus anriefen und fragten, wo ich stecke. Dieses Outro spannt den Rahmen zum nächsten von insgesamt drei Akten. Darauf wird ein Album oder ein großes Mixtape folgen.

 

Von wem hast du dir während der Produktion Feed­back geholt?

Ich machte die Platte im stillen Kämmerlein und niemand wusste, dass ich daran arbeite. Und als ich sie verschickte, kam sehr gutes Feedback zurück. Dazu zählten das Label und meine Freunde, bei denen ich mir ganz sicher sein konnte, dass sie mir keinen Mist erzählen. Besonders in der Kleinstadt hat man schnell einen Kreis von „Yes-Sayern“ um sich, sobald man etwas Exotisches macht. Da muss man aufpassen. Und durch den krassesten Zufall kam halt das Feedback von Curse, ohne dass ich es beabsichtigt hatte.

 

Mit deinen Tracks „Cremeweiß“ und „6 km/h“ bist du in den wichtigen Spotify Playlists gelandet und hast somit viele Hörer generiert. Was hältst du von dem aktuellen Klick-Käufer-Skandal? Kannst du so einen Schritt nachvollziehen?

Es liegt in der Natur der Sache. Beschissen wurde schon immer, beispielsweise bei The Sugarhill Gang, wo Gerüchte im Umlauf waren, dass ihre Platten aufgekauft wurden, um schneller zu charten. Im Endeffekt ist der Klick-Käufer-Skandal das Gleiche in Grün. Außerdem ist es vielleicht auch so ein Rapding. Es ist ein urbanes Musikgenre, das oft aus der sozialen Unterschicht kommt. Da ist es „normal“, dass gehusselt wird. Ich bin eher ein Gegner dieses Systems und finde es schwierig, dass Spotify kuratierte Playlisten führt und somit diktiert, was gerade angesagt ist und was nicht. Wären meine beiden Songs nicht in den Playlists gelandet, hätten sie nicht so viele Plays erhalten. 

Hast du dazu konkrete Zahlen?

Heute habe ich auf Spotify nochmal nachgeschaut: Es wären 400 Prozent weniger Hörer gewesen. Das muss man sich mal vorstellen. Diese Playlisten sind einfach zu wichtig, weil es nur diese zwei großen gibt. Entweder du kommst rein oder nicht. Und der Kauf von Plays hilft dir dabei, darin zu landen. Ich finde es superschade, aber auch ein bisschen lächerlich, dass nicht dagegen vorgegangen wird. Manche Rapper bitten ihre Fans darum, dass sie ihre Tracks auf dem Handy leise auf Repeat stellen sollen. Es mündet darin, dass ein Capital Bra auf einmal einen Beatles Rekord einstellt. Dann muss man sich wirklich fragen, wie hoch die Wertigkeit eines Streams ist. Aber den Klick-Käufern würde ich keinen Strick daraus drehen. Wenn die Möglichkeit besteht, dadurch an Erfolg oder Geld ranzukommen, mach es halt. Ich könnte mich nach so einer Aktion dann allerdings nicht mehr im Spiegel angucken.

 

Ist „Akt I: 32425“ deine Debüt-EP?

2016 machte ich die BoomBap EP „Skoolyard“, und 2017 folgte die Trap-EP „Ugly“. Das ist quasi wie bei Eminem. Er veröffentlichte „Slim Shady“ und dann die „The Marshall Mathers“ LP. Darauf folgte „The Eminem Show“. Auf das total anstößige folgte also das persönliche Album, und ab dann konnte er machen, was er wollte. Im Endeffekt nahm ich mir das zum Vorbild.

 

Wo kann man deine alte Sachen hören?

Bei der BoomBap EP hatten wir das Problem, dass wir die Samples noch nicht klären konnten. Die Trap EP war kein Fehler, aber sie war einfach nicht zeitlos genug. Zu dieser Zeit kam gerade die Trapwelle hoch. Es war halt eine Trendplatte. Wir hätten wegen der ungeklärten Samples die eine Platte runternehmen müssen und dann wäre nur „Ugly“ als Vorgeschichte geblieben. Daher entschieden mein Label und ich, einen klaren Cut zu machen. Vielleicht wird es eines Tages einen Re-Release von „Skoolyard“ geben.

 

Ist es dein Ziel, von der Musik leben zu können?

Auf jeden Fall. Allerdings bin ich ein viel zu unsicherer Mensch, um nur von meiner eigenen Musik leben zu wollen. Ich möchte generell im musikalischen Sektor auch für andere Leute arbeiten.

 

Hast du schon was für andere gemacht?

Ja, aber bei Produktionen war kaum etwas Namhaftes dabei. Beim Schreiben habe ich schon einigen Leuten geholfen, doch darüber spricht man ja nicht.

 

Hast du auch das Gefühl, dass hier in der Region die Anzahl junger Rapper stark wächst? Sie rappen oft über Themen, die ihre Vorbilder à la 187 Straßenbande von sich geben. Du dagegen betonst die einfachen Verhältnisse, aus denen du kommst. Regt dich das auf?

HipHop spielte seit der Trennung meiner Eltern, als ich zehn Jahre alt war, eine große Rolle bei meiner Sozialisierung. HipHop nahm quasi die Elternrolle ein. Die eine Instanz war Sido, die andere Seite war Curse. Ich bin also zur Hälfte mit Aggro Berlin sozialisiert. Im Endeffekt ist 187 nichts anderes vom Impact her. Meine Songs kreisen um ähnliche Thematiken. Früher baute ich relativ viel Mist und hörte nur den allerhärtesten Gangsta-Rap, außer wenn keiner guckte und ich abends mit dem Hund rausging. Dann hörte ich Curse und machte mir Gedanken, die etwas tiefer gingen. Rein musikalisch gesehen, finde ich gerade, was 187 angeht, alles relativ okay. Es ist total wichtig, solche Musik zu hören, um ein Gespür dafür zu bekommen, was es noch für Parallelgesellschaften gibt. Allerdings habe ich ein Problem damit, wenn Sachen eindeutig affektiert sind und viele jüngere Konsumenten oft nicht mehr zwischen Entertainment und Realität unterscheiden können.

 

Kannst du hierzu ein Beispiel nennen?

Hör dir mal HipHop aus Amerika an, wo das Genre kulturell verankert ist und wo es auch Gangsta Rap gibt. Nipsey Hussle, der vor kurzem starb, hat eine 1A Straßenrap Platte gemacht, wo du aus jeder Zeile noch etwas herausziehen kannst, was eine Moral hat. Das billigste Beispiel dafür ist, dass er Gras verkaufte, um seiner Mutter die Miete zahlen zu können. Man erfährt, dass er es für eine gute Sache gemacht hat. Wenn du aber sagst, dass du dir Gucci kaufst und deine Freundin schlägst, die nicht hörig ist, ist das ein grundlegender Unterschied. Ich finde, es tut nicht weh, in einem Song Wörter wie Schlampe, Fotze oder Bitch einfach nicht zu verwenden. Dann hast du sogar mehr Platz für Inhalte, die irgendwie Sinn ergeben. Genau das war auch mein Ansatz bei der Platte.

 

In deinen Spotify Playlists dominiert ganz klar Ami-Rap. In Sachen Deutsch-Rap tauchen eher ältere Künstler wie Curse und Trettmann auf. Kannst du mit jungen, deutschen Rappern nichts anfangen?

Das liegt vermutlich daran, dass ich bei Deutschrap eher hinhöre, da es meine Muttersprache ist. Dann sind es wahrscheinlich eher die Älteren, die mir mehr mit auf den Weg geben. Inhaltlich finde ich die Jüngeren cool, aber sie sind relativ auf einem Film eingefahren: flexen. Das ist auch im eigentlichen Sinne von HipHop. Das Genre besteht ja aus Angeberei, aber es gibt halt mehr als Autonamen und Markenklamotten. Ich fing sehr früh an, HipHop zu hören. Dadurch wurde ich mit Sachen groß, die weit vor meiner Zeit lagen. Die Beats waren ganz anders aufgebaut. Du hattest viel mehr Platz zum Rappen und somit wahrscheinlich wesentlich mehr Inhalt. Natürlich gibt es bei jungen Rappern auch Ausnahmen. Ich finde zum Beispiel, dass RIN das Zeug hat, richtig gutes und modernes Zeug zu machen … wenn er nicht gerade wieder einen sexistischen Ausfall hat. Oder Shindy, den ich auch noch zu den Jüngeren zähle, wobei man ihm anhört, dass er total Golden Era sozialisiert ist. Ich habe das Gefühl, dass es entweder Leute gibt, die wirklich Rap machen und Wert auf Inhalt legen, oder Leute, die nur über Autonamen auf Trap-Beats stottern. Ich habe versucht, den Spagat zu machen, ohne Autonamen zu erwähnen … Außer bei „6 km/h“, da habe ich den Opel Vectra drin, aber das ist kein cooles Auto (lacht). Diesen alten Wagen fuhr ich wirklich.

Gibt es weibliche Rapperinnen, die du feierst?

Ja, aber ich mache bei Frauen und Männern im Rap nicht so viele Unterschiede. Es ist einfach HipHop, und wir sind alle eins. Es ist schade, dass Frauen-Rap oft nicht ernst genommen wird.

Neben Sabrina Setlur, die natürlich überkrass ist, gab es eine Rapperin, die leider nicht mehr aktiv ist. Sie kam, glaube ich, aus Heidelberg: Pyranja. Die fand ich sehr krass. Vor Jahren war ich mal auf einem Freestyle Battle eines Festivals. Da sah ich Presslufthanna und fand sie auch sehr gut. Ich finde Antifuchs richtig cool, wobei die inzwischen schon wieder mehr auf Style und Trap macht. Sie kann wirklich gut rappen. Josi Miller, die DJane von Trettmann, tut unheimlich viel für HipHop, auch wenn sie nicht rappt. Aaliyahs „Age ain't nothing but a number“ ist ebenfalls eine ganz krasse Inspiration für meine Platte gewesen.

 

Wie erklärst du dir, dass Frauen im Rap gefühlt noch immer benachteiligt sind?

Viele Demos, die man via Instagram geschickt bekommt, sind schlecht. Das sind zu 90 Prozent Typen, die richtig kacke sind. Und zehn Prozent sind Frauen, die auch zu 90 Prozent richtig kacke sind. Das liegt nicht daran, dass sie Frauen sind, sondern dass sie noch nicht so lange rappen. Wenn man ihnen dann sagt, dass sie ein bisschen üben sollen, um mehr Routine reinzubringen, kommt als Reaktion direkt der Vorwurf, dass meine Kritik darauf basiert, dass sie weiblich sind. Dabei ist das dann einfach nur ein gut gemeinter Ratschlag. Ich habe das Gefühl, dass noch ganz viel auf die Geschlechterrolle geschoben wird. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass Emanzipation gelebt und nicht mit dem Zeigefinger erdrückt wird. Eine Shirin David beispielsweise, die zwar nicht meine Musik macht und auch so nicht mein Typ Frau ist, finde ich gut, weil sie sich genauso vor die Kamera stellt und über inhaltlich sexistische, machomäßige Dinge wie Männer rappt. Es ist vielleicht nicht für den Feminismus gut, aber ich finde es für die Emanzipation total geil, dass sie zeigt, dass das, was die Männer machen, Frauen auch können. Sie saß beispielsweise in einem Musikvideo auf einem Thron und um sie herum befanden sich oberkörperfreie, eingeölte Männer. Alle haben sich daran gerieben, dass das komisch sei, aber im Grunde machen Macho-Rapper nichts anderes mit Frauen. Ich weiß nicht, ob es gesellschaftlich viel mehr bringt, aber sich mit den Männern zumindest auf eine Stufe zu stellen, würde ich mir von Frauen tatsächlich mehr wünschen. Im besten Fall braucht es dann keine Kategorisierung mehr, was Frauen- und was Männer-Rap ist. Es ist einfach HipHop, und wir sind alle eins.

 

Schaut man sich deinen Instagram-Kanal an, bist du offensichtlich ein großer Vinyl-Liebhaber. Wie viele Platten hast du?

Ich habe sie über Discogs katalogisiert. Es sind so um die 350 Stück. Es könnten mehr sein, aber ich bin Student. Da sitzt das Geld nicht so locker.

 

Und wie viele Sneaker hast du?

Ein bisschen weniger. Jetzt sind es gerade knapp über 100. Ich bin ungelogen täglich zwei Stunden auf Kleiderkreisel unterwegs, um Schnapper zu machen. Das klappt relativ gut.

 

Kann man dich live erleben?

Auftritte sind in der Planung. Wahrscheinlich wird es zur zweiten oder zur dritten EP, die im besten Fall noch in diesem Jahr herauskommen, eine Release Party und Auftritte in kleinen Clubs geben. Ich möchte Routine bekommen, damit ich im Sommer 2020 hoffentlich bei kleinen Festivals auftreten kann.

 

Du wirst doch hoffentlich auch hier in der Gegend auftreten?

Wenn Anfragen reinkommen, auf jeden Fall.

 

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