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Lyrischer Deutschrap ohne Gedöns

Johnny Katharsis aus Leipzig hat vor kurzem sein neues Album „Stadt aus Eisen“ veröffentlicht. Dabei setzt das Funkverteidiger Mitglied wohltuender Weise auf Texte mit Tiefgang jenseits von Mainstream Trends. Nach seiner letzten Veröffentlichung „Eisen“ aus 2018 baut der Wahl-Wiener erneut auf die Zusammenarbeit mit Producer Zenit und dem Mindener Pawcut, der Interludes & Master beisteuert.

Fotos: Alena Sternberg

 

Welches Buch hast du zuletzt gelesen? Würdest du es weiterempfehlen?

Ich habe zuletzt „Gang durch den Wald“ von Ines Birkhan gelesen. Das ist ein wundervolles Buch, und die Autorin hat nicht zu Unrecht dieses Jahr beim Bachmannpreis gelesen. Ich bin darauf aufmerksam geworden, weil das Teil in der selben Edition – fabrik.transit in Wien – erschienen ist, wo auch mein erstes Buch im Herbst rauskommt. „Startrampen“ heißt es, ein Lyrikband.  

Du hast gerade mit Zenit das Album „Stadt aus Eisen“ releast. 23 Tracks befinden sich darauf. So viele Tracks auf einer Veröffentlichung sind nicht untypisch für dich. Woran spürst du, dass ein Release die für dich optimale Anzahl an Tracks hat?

Ein Album ist fertig, wenn es genug Tracks hat und umgekehrt. Ich würde da keine Minutenzahl festlegen. Oder doch? Zwischen 30 und 90. Mit Zenit habe ich einfach sehr viele Songs gemacht in den letzten Jahren, und wir haben einfach immer die besten weitergeschliffen und das quasi nach und nach auf zwei Releases verteilt. Dort sind halt die jeweiligen Songs drauf, die gut zueinander passen. Deswegen sind auf „Eisen“, dem Vorgängeralbum, auch die Songs drauf, die ich dem klassischeren Sound zurechnen würde – außerdem gibt es Features. Und auf „Stadt aus Eisen“ sind die Sachen drauf, die halt einen sehr zielgerichteten, eigenen Sound haben, mit Gitarren, Schlagzeug und so weiter. Außerdem gibt es keine Features, außer Pawcut. Auch bei den Texten geht es bei „Stadt aus Eisen“ lyrischer zu, nicht zufällig trägt ein Interlude auf „Stadt aus Eisen“ den Titel „Startrampen“.

 

Was war für dich das Besondere an der erneuten Zusammenarbeit mit Zenit?
Das Besondere ist, dass Zenit einfach ein Meister seines Fachs ist. Er kann gut die Dinge im Großen erkennen und viele kleine Fragmente zu einem stimmigen Konstrukt fügen. Auch hat er mir viel Eingriff erlaubt, was die Arrangements angeht. Das hat sich sehr organisch angefühlt. Zum Beispiel hat mir Christian, der Gitarrist, immer wieder Material geschickt, das er auf den Song-Strukturen aufgenommen hat, ich habe es dann dahin platziert, wo ich ich es haben wollte, hab hier und da mit den Spuren rumgespielt, habe die Demos dann an Zenit geschickt und er hat weiter gemacht, vielleicht nochmal eine Schleife zwischen uns mit hin- und herschicken – es wurde halt jedes Mal besser. Außerdem habe ich Zenit einige Gigabyte aus Sessions mit meiner Band „Leipziger Schule“ gesendet, aus denen er gesamplet hat. Zenit hat sehr, sehr viele gute Ideen, kann direkt auf Feedback eingehen und welches geben. Lange Rede, kurzer Sinn: Er ist sehr gut. 

Wieso hast du dich für „Ein Traum“ und „Bring mich ins Bett“ als erste Videoauskopplungen entschieden? 

Ich weiß nicht, das war so ein Gefühl. Bei „Ein Traum“ eh, weil da ein paar Inhalte drin sind, politischer und sagen wir philosophischer Natur, die mir wichtig sind, zu transportieren. Ich kann dieses „Ich presse Flex und mache Mios auf der Straße“-Gedöns halt einfach nicht mehr hören. Und ich möchte zeigen, dass man auch anders kredibel rappen kann. „Bring mich ins Bett“ ist wiederum ein guter Ausschnitt aus meinem Leben. Ich gehe halt gern mal aus. Haha. Außerdem kommen da Städte drin vor, in denen ich gerne lebe oder gelebt habe: Hamburg, Berlin, Wien, Leipzig. Die Videos sind btw. wieder von Arvid Wünsch.  

 

Du wirst in Kürze 35. Deine erste Veröffentlichung hattest du laut Discogs 2008. Wann hast du angefangen, Raptexte zu schreiben? Hattest du Vorbilder?
Ich habe Raptexte, keine Ahnung, irgendwann kurz vor meinem ersten Album 2008 angefangen zu schreiben, halt viel gefreestyled mit Kumpels zuhause in der WG, bis der Nachbar mit dem Basi einrückt. Das ist jetzt keine übertriebene Metapher. Auch davor habe ich Texte mitgerappt, obwohl ich da noch viel Metal, Punk, Grind, Doom etc. gehört habe. Viel Metal, sehr viel Black Metal. Aber das, was um die Nullerjahre aus Berlin kam und davor aus dem Ruhrpott. Das war halt das, was mich abgeholt hat. Textlich. Einerseits das metaphernreiche aus dem Pott, andererseits schon auf die Fresse aus Berlin. 

Das Coverfoto zu „Stadt aus Eisen“ stammt von der Hamburger Fotografin Alena Sternberg. Zunächst habe ich es optisch nicht mit Cornelius Grunts Cover zu „Eisen“, dem ersten Teil deiner Zusammenarbeit mit Zenit, verbinden können. Aber dann stellte ich fest, dass der Mann und das Mädchen jeweils nach unten blicken. Passenderweise nennt Alena Sternberg das „Stadt aus Eisen“-Motiv auf ihrem Instagram-Kanal „Die Tochter des Fallschirmspringers“. Gibt es zu dem Bild eine eigene Geschichte?

Ich habe Alena nicht so genau zu der Geschichte zum Bild gefragt. Absichtlich. Weil ich gleichzeitig noch ein Gedicht dazu schreiben wollte – ist auch ein sehr gutes geworden, das in dem „Startrampen“-Band gelandet ist. Das lese ich krass gern auf Lesungen. Hätte ich sie gefragt, was der Background ist, dann hätte mich das zu sehr beeinflusst. Tatsache kenne ich das Bild schon sehr lange, und weiß schon seit mehreren Jahren, dass es ein Cover-Foto werden muss. Und als das Projekt mit Zenit losging, wusste ich, dass es auf „Stadt aus Eisen“ kommt. Es gibt ja noch mehr Fotos von Alena im Inlay, da sieht man ein Kraftwerk hinter einem Leipziger See, das ich kurzerhand Wolkenwerk nenne. Da sind wir halt mal rausgefahren, um das zu erwischen. Das musste rein. Die Bilder im Booklet sind dann von mir geschossen und zeigen ein paar Sachen aus Wien. 

 

Auch bei dieser Veröffentlichung setzt du wieder auf physische Datenträger wie CD und Tape. Findest du, dass das Erstarken von Streamingdiensten Untergrundkünstlern eher hilft oder benachteiligt?

Ich weiß nicht. Es hilft, weil viele Leute deine Musik hören. Andererseits brauchst du schon massig Streams, damit was rumkommt. Und ich merke es ja an meinem eigenen Konsumverhalten. Ich zahle einen Fünfer für den Streaming Dienst im Monat, und höre dort die Musik von Künstlern, deren Platte ich dann nicht kaufe. Naja, naja. Weiterhin werden viele Hörer in eine Unmündigkeit erzogen. Da gibt es dann einen Aufschrei, wenn das Album von Künstler XY aus dem „Netz“ verschwindet, weil man es halt nie wirklich gehabt hat. 

 

Du arbeitest auf dem Album erneut mit Pawcut zusammen. Was zeichnet den Mindener Producer für dich aus?

Pawcut ist einfach sehr gut. Er hat das Album gemastert und auch die Interludes geliefert. Was soll ich dazu sagen, ich arbeite seit Jahren mit ihm zusammen. Und wenn man meine Diskographie anguckt, gibt es da immer Leute, die auftauchen und wieder verschwinden. Ich like das schon sehr, wenn man sich auf Leute verlassen kann, die einfach da sind und loyal. That’s it. Es ist ja auch das Label von ihm und Pixel, auf dem meine Sachen aktuell meistens erscheinen. Pawcut ist sehr gut. Pixel auch. 

In einem Interview mit motor.de erzählst du, dass du abends nicht schlafen gehen kannst, ohne irgendetwas festgehalten zu haben. Wie kann ich mir das vorstellen? Nutzt du für Notizen Bücher, existiert eine wilde Zettelsammlung oder nutzt du ganz unromantisch die Diktierfunktion deines Smartphones?

Nein keine Zettelsammlungen; hab ich mal gemacht, jetzt nicht mehr. Ich arbeite viel am Laptop und am Handy. Jede Notiz sollte digital sein, damit ich jederzeit ran kann zum Weiterbearbeiten. Es muss halt organisch in den Tag passen. Wenn ich erst Zettelberge sortieren muss, die ich dann abtippe ... Da hab ich keine Lust drauf. Skizzen und Handlungspläne für längere Plots mach ich aber analog mit Stift und Papier. Das passt da zum Gedankenstrom, muss aber jeder für sich entscheiden. Für mich läuft das gut so. Ich arbeite halt für die Produktion, nicht so viele Zettel für die Schublade. Aus jeder File, die ich anlege, wird letzten Endes was. Meine Zeit, so im Großen und Ganzen, ist begrenzt und da arbeite ich lieber effizient. 

 

Du bist wie schon erwähnt auch als Autor aktiv. Vermittelst du die Inhalte deiner Texte lieber mit Musik oder bei einer Lesung?

Ich finde Lesungen besser für Inhalte. Gigs besser für Eskalation. 

 

Einige Tracks auf „Stadt aus Zenit“ sind sehr tanzbar und somit für Live Gigs prädestiniert. Bist du schon einmal hier im Großraum Ostwestfalen aufgetreten?

Nein, ich trete mehr im Osten auf. Da kennt man mich auch, und es kommen Leute. Das muss freilich nicht so bleiben. 

 

Wo würdest du generell gerne mal auftreten?

Ich bevorzuge kleine Clubs und stehe voll auf Support-Slots, am besten für Freunde. Wenn man so als Crew unterwegs ist – das ist sehr gut. 

 

Da du unglaublich produktiv bist, ist doch bestimmt schon das nächste Projekt in der Mache. Woran arbeitest du gerade?

An „1989“, das kommt als Nächstes. Das Kollabo-Projekt von Monkay und mir und das Nachfolgealbum zu 1984. Da gibt es wieder Feats. Sehr viele Feats – also für meine Verhältnisse. 

 

Mit wem würdest du gerne mal zusammenarbeiten, wenn du weltweit die freie Wahl hättest?

Banks, Lorn, jetzt fallen mir noch viele ein. Im deutschsprachigem Raum höre ich mir – jetzt in diesem Moment – sehr gerne die bisherigen Auskopplungen des Luciano-Albums an. Aber das sind jetzt halt Sachen, die ich gerade und gerne höre. Da denke ich nicht zwangsläufig an Kollabs. Kollabos ergeben sich ja oft durch Ereignisse. Mich interessieren ehrlich gesagt mehr Leute, die zu meiner Kunst was ergänzen können zu einem weiteren Gesamtwerk, also vor allem Producer, Schlagzeuger, Bands, Videoproducer und Beatbastler. Und das ergibt sich halt. 

 

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